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Ohl M (2018) Stachel und Staat. Eine leidenschaftliche Naturgeschichte von Bienen, Wespen und Ameisen. Droemer Verlag, München. ISBN 978-3-426-27749-2
expand article infoHolger Dathe
‡ Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut, Müncheberg, Germany
Open Access



Nun habe ich drei Bücher von Michael Ohl gelesen und dabei wieder eine tiefere Erkenntnis darüber gewonnen, was mich an der Entomologie so fasziniert hat, dass ich ihr erst viel von meiner Freizeit und später mein ganzes Arbeitsleben gewidmet habe. Ähnliches habe ich schon einmal erlebt mit Büchern von Fredrik Sjöberg (2010, 2013, 2014); da ging es vor allem um Schwebfliegen. Bei Ohl ist der Bogen weiter gespannt, es müssen nicht einmal Insekten sein, aber gerade bei diesen hat man ob ihrer riesigen Vielfalt eine besondere Auswahl, anhand derer sich biologische Phänomene auch besonders spektakulär darstellen lassen. In „Die Kunst der Benennung“ (Ohl 2015) geht es um die begriffliche Definition der organismischen Vielfalt, um deren Fixierung sich die Biologen seit mehr als 250 Jahren mühen, ohne immer eine eindeutige Lösung gefunden zu haben. Es mutet einfach an, wenn man ganz neuartige Tiere findet: der Entdecker ist klar und es geht eigentlich nur noch darum, einen passenden Namen festzulegen. Was aber tatsächlich geschieht, lese man nach bei Michael Ohl (2022) in „Expeditionen zu den ersten ihrer Art“. Von einem romantischen Gemälde des venezianischen Malers Tiepolo kannte man eine Windgottheit, Zephyr, mit Neuropteren- oder Libellen-artigen Flügeln, die endständig große Augenflecken tragen. Bei rezenten Insekten aber war das in natura obsolet, vorstellbar waren eher künstlerische Freiheit und Fantasie des spätbarocken Künstlers. Und plötzlich taucht ein solches Insekt lebend auf, erst im Iran und 75 Jahre später in Marokko. Wie konnte Tiepolo ein Pseudimares aphrodite zu Gesicht bekommen haben? Ähnlich spannend ist die Geschichte der „Monster“Grabwespe, Megalara garuda Kimsey & Ohl, 2012. Der Weltreisende Gerd Heinrich hatte 1930 zwei Exemplare auf Sulawesi gefangen, die in einem Kasten mit unbestimmten Spheciden im Museum für Naturkunde Berlin ruhten, bis 2009 Lynn S. Kimsey neuerlich Exemplare fing.

Damit sind wir bei Michael Ohls engerem Thema, den Hautflüglern, innerhalb derer er vor allem die Grabwespen näher erforscht. In „Stachel und Staat“ schildert der Autor sehr persönlich, wie er zu seinen Studienobjekten gelangte und zunehmend Einsichten in ihre Entwicklungsgeschichte gewann. Damit verbinden sich grundlegende Erkenntnisse zur Wirkungsweise der Evolution überhaupt. Er legt dar, welche Schlüsselmerkmale zum Ausgangspunkt für eine rasante Radiation der Träger solcher „Zukunftsgene“ werden, und er stellt fest, dass es bei den Hymenoptera gar nicht sehr vieler evolutiver „Erfindungen“ bedurfte, um daraus eine der großen, megadiversen Insektengruppen entstehen zu lassen. Zunächst ist es die Wespentaille, die die Beweglichkeit ihrer Träger deutlich erhöht und zu den hochdiversen Aculeata führt. Weitere dienliche Neuerwerbungen der Aculeata sind die Umbildung des Legeapparates zu einem effektiven Wehrstachel, aber auch die Haplodiploidie, die die Bildung arbeitsteiliger Sozialstrukturen begünstigt. Jedes dieser Merkmale wird in der Folge weiter ausgestaltet, so dass am Ende aus solitären Ausgangsformen von Wespen, Bienen und Ameisen völlig neuartige Sozietäten mit besonderen internen Strukturen, Verhaltensweisen, Bauten und anderen einzigartigen Fähigkeiten werden, so dass die Tiere Ökosysteme dominieren können. Innerhalb der Insekten gibt es das nur noch ein einziges Mal, bei den Termiten, aber warum bei den Aculeata gleich mehrfach parallel? Einleuchtende Erklärungen diskutiert der Autor, allerdings nicht in Lehrbuchform, sondern anhand exemplarisch ausgewählter Aspekte, namentlich jene, die mit dem Wehrstachel verbunden sind. Solche Kapitel sind beispielsweise die Wespenfärbung (Warnung und Tarnung), die Wespentaille (Beweglichkeit), Giftwirkung (die Schmerzskala in 10 Stufen), soziale Strukturen und ihre Vorteile sowie Prinzipien der Nestarchitektur. Die Erörterung geschieht auf höchst unterhaltsame Weise, ohne je den wissenschaftlichen Boden zu verlassen. Die Lektüre kann jedem empfohlen werden, der sich für die Natur interessiert. Er wird auf die eine oder andere Weise Gewinn daraus beziehen, zumal das Buch mit fantastischen Makroaufnahmen (Bernhard Schurian) sowie zahlreichen Illustrationen zum Text aus dem reichen Fundus des Naturkundemuseums Berlin ausgestattet ist.

References

  • Ohl M (2015) Die Kunst der Benennung. Matthes & Seitz. Berlin.
  • Ohl M (2022) Expeditionen zu den ersten ihrer Art. Außergewöhnliche Tiere und die Geschichte ihrer Entdeckung. dtv. München.
  • Sjöberg F (2010) Die Fliegenfalle. Bastei Lübbe. Köln.
  • Sjöberg F (2013) Der Rosinenkönig. Verlag Galiani. Berlin.
  • Sjöberg F (2014) Die Kunst zu fliehen. Bastei Lübbe. Köln.
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