Research Article |
Corresponding author: Thomas Thieme ( tt@biotestlab.de ) Academic editor: Stephan M. Blank
© 2024 Thomas Thieme, Klaus Schrameyer, Carsten A. Brühl, Gerrit Öhm.
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Citation:
Thieme T, Schrameyer K, Brühl CA, Öhm G (2024) Über das Auftreten und die Verbreitung von Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 und Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) (Hemiptera, Aphididae) in Deutschland. Contributions to Entomology 74(1): 43-51. https://doi.org/10.3897/contrib.entomol.74.e120333
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Es wird über die Nachweise und die Ausbreitung der zwei nichtwirtswechselnden Blattlausarten Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 und Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) in Deutschland berichtet. Auf hohe Besiedelungsdichte reagiert die monophage, nur Alnus cordata besiedelnde C. grassii mit der verstärkten Produktion von geflügelten Morphen, die eine schnelle Ausbreitung ermöglichen. Diese Reaktion ist stark reduziert bei der polyphagen, zahlreiche Taxa des Genus Allium L. besiedelnden N. formosana, deren Ausbreitung hauptsächlich vom anthropogenen Transport besiedelter Wirtspflanzen abhängig ist.
We report on the detection and spread of the two non-host-alternating aphid species Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 and Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) in Germany. The monophagous C. grassii, which colonises only Alnus cordata, reacts to high colonisation density with the increased production of winged morphs, which enable rapid dispersal. This reaction is greatly reduced in the polyphagous N. formosana, which colonises numerous taxa of the genus Allium L. and whose dispersal is mainly dependent on anthropogenic transport of host plants colonised.
Allium, Alnus, Aphiden, Ausbreitungsstrategie, Einwanderung, Neozoon
Allium, Alnus, aphids, immigration, dispersal strategy, neozoon
Die in Europa gefundenen Blattlausarten sind nicht gleichmäßig verteilt. Die Anzahl der in einem Land vorkommenden gebietsfremden Arten korreliert signifikant und positiv mit der Anzahl der in diesem Land erfassten einheimischen Arten und, in geringerem Maße, mit der Anzahl der lokalen Taxonomen (
Aber auch in anderen Ländern befassten sich Aphidologen intensiv mit Blattläusen in botanischen Gärten und Gewächshäusern (
Das Untersuchungsgebiet umfasst das gesamte Territorium Deutschlands. Die hier berichteten Erhebungen wurden hauptsächlich durch das Absammeln von lebenden Pflanzen durchgeführt, die ungeschützt im Freien in den Gärten gezogen wurden, sowie eine begrenzte Anzahl unter kontrollierten Bedingungen in Gewächshäusern und Baumschulen vor Ort sowie Befragungen der amtlichen Dienste des Pflanzenschutzes. Bei nicht lokalisierten Nachweisen wurde der genaue Standort der Wirtspflanze nicht speziell vermerkt. Die Quelle der Karte (Fig.
Die Untersuchung umfasst einen Zeitraum von zwölf Jahren. Die Blattläuse wurden direkt von den Wirtspflanzen mit einem feinen Haarpinsel gesammelt und in Eppendorf-Röhrchen mit 70%igem und 98%igem Ethanol gegeben. Standort, Datum der Probenahme und Name der Wirtspflanze wurden auf den Etiketten auf den Röhrchen vermerkt.
Adulte ungeflügelte oder geflügelte Weibchen wurden nach der Methode von
Für die Dauerzucht von N. formosana einer Herkunft fanden Zwiebeln von Allium cepa L. als Wirtspflanzen Verwendung. Die multiklonale Linie wurde ursprünglich mit ungeflügelten viviparen Weibchen errichtet, die 2006 von in einem Keller gelagerten Zwiebeln in der Stadt Annweiler in der Pfalz, Deutschland, abgesammelt wurden. Von Mitte Mai bis Mitte August erfolgte die Haltung der Linie mehrere Jahre lang parthenogenetisch auf getopften Pflanzen in kleinen Käfigen (
Die Versuche zur Bestimmung der Entwicklung von N. formosana auf 8 Wochen alten Pflanzen verschiedener Taxa der Gattung Allium L. wurden zwischen Mitte Mai und Ende Juni in einem Freiland-Insektarium bei 20 ± 2 °C durchgeführt. Hierfür wurden von jedem Taxon sechs Pflanzen einzeln gekäfigt und mit je einer ungeflügelten viviparen Blattlaus, innerhalb von 24 h nach Erreichen des Erwachsenenstadiums, besiedelt. Nach 14 Tage erfolgte die Zählung aller Blattläuse auf jeder Pflanze und die Bewertung der Blattlausentwicklung nach folgendem Schema: + ≤ 20 Blattläuse; ++ ≤ 40 Blattläuse; +++ ≤ 60 Blattläuse; ++++ > 80 Blattläuse.
Zur Untersuchung des Einflusses der Besiedelungsdichte auf die Bildung von Geflügelten fanden neben N. formosana zwei ebenfalls cepa besiedelnde polyphage Blattlausarten Verwendung: Myzus (Sciamyzus) cymbalariae Stroyan 1954 und M. (S.) ascalonicus Doncaster 1946. Diese Taxa vermehren sich anholozyklisch, ihre Herkunft ist unbekannt. Die derzeitige Verbreitung von M. (S.) cymbalariae deutet nach Blackman und Eastop (2022) auf eine rezente Ausbreitung durch den Menschen hin.
Mit beiden 2007 auf A. cepa in einem Garten bei Rostock (Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland) gefundenen Blattlausarten konnten Dauerzuchten gegründet werden, die unter gleichen Bedingungen wie N. formosana gehalten wurden.
Für die Analyse eines Einflusses der Besiedelungsdichte auf die Bildung von Geflügelten wurden auf einzeln in Rohrkäfigen isolierten A. cepa je 2, 10 oder 20 ungeflügelte vivipare Blattläuse von N. formosana, M. (S.) cymbalariae und M. (S.) ascalonicus, innerhalb von 24 h nach Erreichen des Erwachsenenstadiums, überführt und nach 21 Tage die Anzahl der ungeflügelten und geflügelten Erwachsenen bestimmt. Die Versuche erfolgten im Gewächshaus bei 20 ± 2 °C unter Langtagbedingungen (16 h Licht/8 h Dunkelheit) mit 10 Wiederholungen.
Crypturaphis grassii wurde in GB erstmals 1998 nachgewiesen und hat sich seitdem in Südengland (
C. grassii ist scheinbar auf dem Weg in den Norden und konnte nach dem Erstnachweis, 2011 bei Heilbronn, 2019 von K. Schrameyer in Prerow, 2021 von G. Öhm an 7 Standorten in und um Göttingen und von T. Thieme, in Berlin beobachtet werden. Etwas später wurde diese Art auch in Kassel und Oldenburg gefunden (Fig.
Crypturaphis grassii ist die einzige Art ihrer Gattung. Sie besiedelt nur Alnus cordata und wird nicht von Ameisen betreut. Die viviparen Ungeflügelten von C. grassii variieren in der Farbe von gelblich-grün bis gelblich-orangefarben, sie haben eine Doppelreihe brauner Flecken, die sich entlang der Mittellinie erstrecken, sowie Flecken am Rande des Hinterleibs und auf dem Kopf. Diese Färbung ermöglicht eine Anpassung an das Hintergrundmuster (Dransfield und Brightwell 2023) und die Pigmentflecken unterbrechen als kontrastreiches Muster die Körperkontur (disruptive Färbung nach
Der Körper der viviparen Ungeflügelten ist dorso-ventral abgeflacht mit plattenartigen frontalen und seitlichen Vorsprüngen. Die Siphonen sind klein und kegelförmig. Die Körperlänge der adulten C. grassii beträgt 2,3–3,2 mm.
Geflügelte vivipare Weibchen sind die im Sommer am häufigsten beobachtete Morphe (Blackman und Eastop 2022), sie können mit der Ablage von Larven bereits kurz nach der Häutung zum Adultstadium beginnen, also bereits ohne ausgeprägte Pigmentierung (Fig.
Die jungen Larven von C. grassii sind sehr blass und durchscheinend gelb-grün und entwickeln später dunkle Pigmentflecken (Fig.
Die oviparen Weibchen ähneln in Größe und Form den viviparen Ungeflügelten, sie sind aber eher orange-braun mit dunklen Querstreifen auf dem Hinterleib und haben ventral auf beiden Seiten der Cauda Wachswolle produzierende Drüsen (Fig.
C. grassii besiedelt entlang der Blattadern die Ober- und häufiger die Unterseite der Blätter von Alnus cordata einem Baum der südlichen Apenninen Italiens und Teilen Korsikas, wo auch C. grassii beheimatet ist. Jansen und Warner (2002) vermuten, dass die Ausbreitung dieser Art nach Norden auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Dabei ist zu beachten, dass A. cordata häufig in Städten angepflanzt wird, wo aufgrund der dichten Überbauung, großflächigen Versieglung, der Verdrängung der biotischen Faktoren von Landschaftsökosystemen und der Emissionen ein eignes typisches Stadtklima mit höheren Temperaturen herrscht, es also nicht des Klimawandels bedarf, um der Art die Ausbreitung zu ermöglichen.
Da die Art europäischen Ursprungs sei und die Schadwirkung (ökonomisch wie ökologisch) nur sehr gering eingeschätzt wird, werden vom Pflanzenschutzamt der Landwirtschaftskammer Niedersachsen weitere Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Art (Quarantäne, Bekämpfung etc.) als nicht notwendig erachtet (T. Brand, mündl. Mitteilung).
Eine andere Strategie der Ausbreitung zeigt Neotoxoptera formosana (Takahashi 1921). Alle zur Gattung Neotoxoptera Theobald (Aphidinae: Macrosiphini) gehörenden Blattläuse ähneln Myzus (Passerini, 1860), besitzen gekeulte Siphonen und dunkel umrandete Flügeladern (Table
Taxon | Wirtspflanze |
---|---|
N. abeliae Takahashi 1965 | Abelia, Lonicera |
N. formosana (Takahashi 1921) | Allium |
N. geranii (Chowdhuri, Basu, Chakrabarti und Raychaudhuri 1969) | Geranium |
N. oliveri (Essig 1935) | Allium, Stellaria, Viola |
N. sungkangensis Hsu 1991 | |
N. violae (Pergande 1900) | Viola |
N. weigeliae Lee und Seo 1990 | Weigelia - ? |
N. yasumatsui Sorin 1971 | Weigelia - Aster, Artemisia |
Die viviparen Ungeflügelten von N. formosana sind leuchtend magentarot bis dunkel rotbraun oder fast schwarz. Die ersten beiden Antennensegmente und die distalen Teile der Femora sind alle schwarz. Der Mindestdurchmesser der Siphonen ist größer als der Durchmesser der hinteren Tibia in ihrer Mitte. Die Körperlänge der erwachsenen Ungeflügelten beträgt 1,6–2,3 mm. Juvenile N. formosana sind ähnlich gefärbt wie die ausgewachsenen Ungeflügelten. Die nur selten und in geringer Anzahl auftretenden Geflügelten von N. formosana sind sehr dunkelrot bis schwarz, wobei die Flügeladern deutlich schwarz gesäumt sind. Während diese Säume bei N. formosana über die Länge der Flügeladern hinweg etwa die gleiche Breite besitzen, sind sie bei der ebenfalls Allium besiedelnden N. oliveri (Essig, 1935) an der Basis und der Spitze jeder Ader breiter (Fig.
Wirtspflanzen von Neotoxoptera formosana und deren Eignung für eine Herkunft aus Annweiler bei 20 ± 2 °C. Besatz (n = 6) mit je einem adulten ungeflügelten viviparen Weibchen nach 14 Tagen: + ≤ 20 Aph.; ++ ≤ 40 Aph.; +++ ≤ 60 Aph.; ++++ > 80 Aph.
Wirtspflanze | Eignung für N. formosana |
---|---|
Allium ascalonicum L. a | ++++ |
A. cernuum Roth a | ++ |
A. cepa L.a | ++++ |
A. bakeri Regel a | ++ |
A. chinense G. Don a | +++ |
A. fistulosum L. a | + |
A. neopolitanum Cirillo a | + |
A. ampeloprasum L. a | + |
A. sativum L.a | ++++ |
A. schoenoprasum L.a | ++++ |
A. tuberosum Rottler ex Sprengel a | + |
A. atropurpureum Waldstein & Kitaibel | ++++ |
A. caeruleum Pallas | ++++ |
A. giganteum Regel | ++++ |
A. karataviense Regel | ++++ |
A. nigrum L. | ++++ |
A. sphaerocephalon L. | ++++ |
N. formosana wurde in Europa erstmals 1984 in Frankreich entdeckt (
Der Fund von N. formosana in Finnland an Zwiebeln aus den Niederlanden deutet darauf hin, dass die Blattlaus 1994 in den Niederlanden aufgetreten sein könnte. Van Dijk (1993) berichtete, dass verschiedene Allium-Arten, die in Töpfen im Freiland und in Gewächshäusern in Wageningen in den Niederlanden angebaut wurden, zeitweise stark von Blattläusen befallen waren, bei denen es sich um N. formosana gehandelt haben könnte. Der erste gesicherte Nachweis dieser Blattläuse in den Niederlanden, wo sie A. schoenoprasum besiedelten, erfolgte 1994 (
Der erste Nachweis dieser Blattläuse in Deutschland gelang 2006 an gelagerten Zwiebeln in Annweiler, die nur durch Ungeflügelte besiedelt waren (Fig.
2022 erreichte diese Blattlaus Bad Zwischenahn-Rostrup, wo sie in einem Garten in einem Folientunnel zunächst A. schoenoprasum und A. tuberosum, später auch A. sativum und A. cepa befiel (T. Brand, mündl. Mitteilung). Als Quelle werden zugekaufter A. schoenoprasum und A. cepa vermutet. 2023 besiedelte N. formosana in diesem Garten auch A. schoenoprasum im Freiland. 2023 traten die Läuse erstmals in einem Hochbeet in Braunschweig an zugekauftem A. schoenoprasum auf und besiedelten dort auch massiv A. ampeloprasum L. (Fig.
Während es bekannt ist, dass N. formosana nur Allium-Arten besiedelt, fehlen Informationen darüber, ob es zwischen diesen Arten Unterschiede in der Wirtseignung gibt. Die Versuche zur Wirtseignung verschiedener Allium-Arten für N. formosana aus Konstanz lassen deutliche Unterschiede erkennen (Table
Das auffällige Fehlen geflügelter Morphen, ist eine Besonderheit von N. formosana.
Einfluss der Besiedelungsdichte ungeflügelter viviparer Weibchen auf den % Anteil (MW ± SD) ungeflügelter viviparer Weibchen von Neotoxoptera formosana (N. f.), Myzus (S.) ascalonicus (M. a.) und M. (S.) cymbalariae (M. c.) nach 21 Tagen (n = 10), Werte mit ungleichen Buchstaben innerhalb der Besiedelungsdichte-Gruppe unterscheiden sich signifikant (p < 0,001), Kruskal-Wallis-Test (SYSTAT, Version No. 11.00.01).
Die Populationen von N. formosana können Schäden an ihren Wirtspflanzen verursachen. Die in Italien gemeldeten Schäden durch Nahrungsaufnahme an A. schoenoprasum umfassen Welken, Vergilben und Austrocknen (Barbagallo und Ciampolini 2000). N. formosana kann auch phytopathogene Pflanzenviren übertragen (
Auf Anregung des britischen Pflanzenschutzdienstes wurde N. formosana im April 2000 in die EPPO-Warnliste aufgenommen (
Die Studie betrachtet die Nachweise und die Ausbreitung der Blattlausarten Crypturaphis grassii und Neotoxoptera formosana in Deutschland. Beide Arten führen keinen Wirtswechsel durch unterscheiden sich aber in der Ausbreitungsstrategie. Die monophage, nur Alnus cordata besiedelnde C. grassii reagiert auf hohe Besiedelungsdichte mit der verstärkten Produktion von Geflügelten, die eine schnelle Ausbreitung ermöglichen. Bei der polyphagen, zahlreiche Taxa des Genus Allium besiedelnden N. formosana, ist die Bildung von Geflügelten hingegen stark reduziert, ihre Ausbreitung erfolgt deshalb hauptsächlich durch anthropogenen Transport.
Die Autoren danken Dr. U. Heimbach für die Zusendung von N. formosana aus seinem Garten in Braunschweig und Dr. T. Brand (Landwirtschaftskammer Niedersachsen; Pflanzenschutzamt, Zierpflanzen, Baumschulen, öffentliches Grün/ Oldenburg) für die Informationen über C. grassii und das Auftreten von N. formosana in Niedersachsen.