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Über das Auftreten und die Verbreitung von Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 und Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) (Hemiptera, Aphididae) in Deutschland
On the occurrence and distribution of Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 and Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) (Hemiptera, Aphididae) in Germany
expand article infoThomas Thieme, Klaus Schrameyer§, Carsten A. Brühl|, Gerrit Öhm
‡ BTL Bio-Test Labor GmbH Sagerheide, Sanitz, Germany
§ Unaffiliated, Öhringen, Germany
| iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften, Landau, Germany
¶ Unaffiliated, Göttingen, Germany
Open Access

Zusammenfassung

Es wird über die Nachweise und die Ausbreitung der zwei nichtwirtswechselnden Blattlausarten Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 und Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) in Deutschland berichtet. Auf hohe Besiedelungsdichte reagiert die monophage, nur Alnus cordata besiedelnde C. grassii mit der verstärkten Produktion von geflügelten Morphen, die eine schnelle Ausbreitung ermöglichen. Diese Reaktion ist stark reduziert bei der polyphagen, zahlreiche Taxa des Genus Allium L. besiedelnden N. formosana, deren Ausbreitung hauptsächlich vom anthropogenen Transport besiedelter Wirtspflanzen abhängig ist.

Abstract

We report on the detection and spread of the two non-host-alternating aphid species Crypturaphis grassii Silvestri, 1935 and Neotoxoptera formosana (Takahashi, 1921) in Germany. The monophagous C. grassii, which colonises only Alnus cordata, reacts to high colonisation density with the increased production of winged morphs, which enable rapid dispersal. This reaction is greatly reduced in the polyphagous N. formosana, which colonises numerous taxa of the genus Allium L. and whose dispersal is mainly dependent on anthropogenic transport of host plants colonised.

Schlüsselwörter

Allium, Alnus, Aphiden, Ausbreitungsstrategie, Einwanderung, Neozoon

Key Words

Allium, Alnus, aphids, immigration, dispersal strategy, neozoon

Einleitung

Die in Europa gefundenen Blattlausarten sind nicht gleichmäßig verteilt. Die Anzahl der in einem Land vorkommenden gebietsfremden Arten korreliert signifikant und positiv mit der Anzahl der in diesem Land erfassten einheimischen Arten und, in geringerem Maße, mit der Anzahl der lokalen Taxonomen (Wieczorek et al. 2019). Für die Einwanderung neuer Blattlausarten hat die Nähe von großen Flughäfen zu botanischen Gärten eine besondere Bedeutung. Die durch den schnellen Luftverkehr in ein fremdes Gebiet eingeführten Arten haben gute Überlebenschancen, wenn sich in der Nähe des Flughafens ein artenreicher botanischer Garten oder ein Park befindet. In GB befindet sich unweit der Royal Botanic Gardens, Kew der Flughafen Heathrow und in Frankreich liegen unweit vom Jardin botanique de la ville de Paris und Jardin des Plantes die Flughäfen Charles de Gaulle, Orly, Le Bourget und Beauvais-Tillé. GB liegt mit 65 gebietsfremden Blattlausarten an der Spitze der europäischen Länder, in denen diese Arten nachgewiesen wurden. Davon wurden 36 Arten zum ersten Mal in Europa nachgewiesen, und mindestens fünf von ihnen wurden erstmals in Kew entdeckt (Eastop 1962, 1965; Wieczorek et al. 2019).

Aber auch in anderen Ländern befassten sich Aphidologen intensiv mit Blattläusen in botanischen Gärten und Gewächshäusern (Schumacher 1921; Rupais 1961, 1971; Tashev 1962; Lampel 1974, 1975, 1976; Müller 1975). Weniger Beachtung fanden hingegen die Ausbreitungsstrategien der Aphiden in den einzelnen Ländern. Aus diesem Grund soll hier die Ausbreitung von zwei nicht-wirtswechselnden Blattlausarten in Deutschland berichtet werden.

Material und Methoden

Sammlungsgebiet

Das Untersuchungsgebiet umfasst das gesamte Territorium Deutschlands. Die hier berichteten Erhebungen wurden hauptsächlich durch das Absammeln von lebenden Pflanzen durchgeführt, die ungeschützt im Freien in den Gärten gezogen wurden, sowie eine begrenzte Anzahl unter kontrollierten Bedingungen in Gewächshäusern und Baumschulen vor Ort sowie Befragungen der amtlichen Dienste des Pflanzenschutzes. Bei nicht lokalisierten Nachweisen wurde der genaue Standort der Wirtspflanze nicht speziell vermerkt. Die Quelle der Karte (Fig. 1) der Sammelgebiete war worldmapblank.com. Die Fig. 1 wurde mit Adobe Photoshop 7.0 erstellt.

Figure 1. 

Nachweise von Crypturaphis grassii (A) und Neotoxoptera formosana (B) in Deutschland. A1 2011, A2 2019, A3 2021, A4 2021, A5 2022; B1 2006, B2 2007, B3 2022, B4 2023.

Ablauf der Probenahme

Die Untersuchung umfasst einen Zeitraum von zwölf Jahren. Die Blattläuse wurden direkt von den Wirtspflanzen mit einem feinen Haarpinsel gesammelt und in Eppendorf-Röhrchen mit 70%igem und 98%igem Ethanol gegeben. Standort, Datum der Probenahme und Name der Wirtspflanze wurden auf den Etiketten auf den Röhrchen vermerkt.

Identifizierung der Arten

Adulte ungeflügelte oder geflügelte Weibchen wurden nach der Methode von Müller (1969) präpariert und mit einem Olympus SZX12 bis zur Art identifiziert. Namen und Klassifizierung folgen Nieto Nafría et al. (2011). Zur Bestimmung der gebietsfremden Arten wurden Blackman und Eastop (2022) sowie Dixon und Thieme (2007) herangezogen. Belegexemplare für die in 98 %igem Ethanol gesammelten Proben sind in der Carl-Börner Sammlung des Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI), Müncheberg (Brandenburg, Deutschland), hinterlegt.

Aufzucht einer Linie von N. formosana

Für die Dauerzucht von N. formosana einer Herkunft fanden Zwiebeln von Allium cepa L. als Wirtspflanzen Verwendung. Die multiklonale Linie wurde ursprünglich mit ungeflügelten viviparen Weibchen errichtet, die 2006 von in einem Keller gelagerten Zwiebeln in der Stadt Annweiler in der Pfalz, Deutschland, abgesammelt wurden. Von Mitte Mai bis Mitte August erfolgte die Haltung der Linie mehrere Jahre lang parthenogenetisch auf getopften Pflanzen in kleinen Käfigen (Müller 1954) in einem Freiland-Insektarium. Anschließend wurde die Linie für den Rest der jeweiligen Jahre in einem Gewächshaus bei 20 ± 2 °C unter Langtagbedingungen (16 h Licht/8 h Dunkelheit) gehalten.

Wirtspflanzen von N. formosana

Die Versuche zur Bestimmung der Entwicklung von N. formosana auf 8 Wochen alten Pflanzen verschiedener Taxa der Gattung Allium L. wurden zwischen Mitte Mai und Ende Juni in einem Freiland-Insektarium bei 20 ± 2 °C durchgeführt. Hierfür wurden von jedem Taxon sechs Pflanzen einzeln gekäfigt und mit je einer ungeflügelten viviparen Blattlaus, innerhalb von 24 h nach Erreichen des Erwachsenenstadiums, besiedelt. Nach 14 Tage erfolgte die Zählung aller Blattläuse auf jeder Pflanze und die Bewertung der Blattlausentwicklung nach folgendem Schema: + ≤ 20 Blattläuse; ++ ≤ 40 Blattläuse; +++ ≤ 60 Blattläuse; ++++ > 80 Blattläuse.

Einfluss der Besiedelungsdichte auf die Bildung von Geflügelten

Zur Untersuchung des Einflusses der Besiedelungsdichte auf die Bildung von Geflügelten fanden neben N. formosana zwei ebenfalls cepa besiedelnde polyphage Blattlausarten Verwendung: Myzus (Sciamyzus) cymbalariae Stroyan 1954 und M. (S.) ascalonicus Doncaster 1946. Diese Taxa vermehren sich anholozyklisch, ihre Herkunft ist unbekannt. Die derzeitige Verbreitung von M. (S.) cymbalariae deutet nach Blackman und Eastop (2022) auf eine rezente Ausbreitung durch den Menschen hin.

Mit beiden 2007 auf A. cepa in einem Garten bei Rostock (Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland) gefundenen Blattlausarten konnten Dauerzuchten gegründet werden, die unter gleichen Bedingungen wie N. formosana gehalten wurden.

Für die Analyse eines Einflusses der Besiedelungsdichte auf die Bildung von Geflügelten wurden auf einzeln in Rohrkäfigen isolierten A. cepa je 2, 10 oder 20 ungeflügelte vivipare Blattläuse von N. formosana, M. (S.) cymbalariae und M. (S.) ascalonicus, innerhalb von 24 h nach Erreichen des Erwachsenenstadiums, überführt und nach 21 Tage die Anzahl der ungeflügelten und geflügelten Erwachsenen bestimmt. Die Versuche erfolgten im Gewächshaus bei 20 ± 2 °C unter Langtagbedingungen (16 h Licht/8 h Dunkelheit) mit 10 Wiederholungen.

Ergebnisse und Diskussion

Crypturaphis grassii

Crypturaphis grassii wurde in GB erstmals 1998 nachgewiesen und hat sich seitdem in Südengland (Harrington 1998) und Wales (Baker 2009) weit verbreitet. Die Art wurde von T. Thieme erstmalig 1998 in Rothamstead (GB) beobachtet und im „Naturalists‘ Handbooks 29“ (Dixon und Thieme 2007) vorgestellt. Diese Publikation veranlasste K. Schrameyer zu intensivem Suchen in Deutschland (Baden-Württemberg), wo er die Art auch im Frühjahr 2011 fand (Fig. 1).

C. grassii ist scheinbar auf dem Weg in den Norden und konnte nach dem Erstnachweis, 2011 bei Heilbronn, 2019 von K. Schrameyer in Prerow, 2021 von G. Öhm an 7 Standorten in und um Göttingen und von T. Thieme, in Berlin beobachtet werden. Etwas später wurde diese Art auch in Kassel und Oldenburg gefunden (Fig. 1). Nach den Beobachtungen in Heilbronn, die den Informationen von Blackman und Eastop (2022) entsprechen, erfolgt nach der Überwinterung im Eistadium von C. grassii im Sommer in den Kolonien eine starke Produktion von vornehmlich viviparen Geflügelten, die ihre Wirtspflanzen verlassen und durch die Suche nach neuen Wirtspflanzen eine schnelle Ausbreitung ermöglichen.

Crypturaphis grassii ist die einzige Art ihrer Gattung. Sie besiedelt nur Alnus cordata und wird nicht von Ameisen betreut. Die viviparen Ungeflügelten von C. grassii variieren in der Farbe von gelblich-grün bis gelblich-orangefarben, sie haben eine Doppelreihe brauner Flecken, die sich entlang der Mittellinie erstrecken, sowie Flecken am Rande des Hinterleibs und auf dem Kopf. Diese Färbung ermöglicht eine Anpassung an das Hintergrundmuster (Dransfield und Brightwell 2023) und die Pigmentflecken unterbrechen als kontrastreiches Muster die Körperkontur (disruptive Färbung nach Cuthill et al. 2005). Ältere Exemplare sind in der Regel kräftiger gefärbt und scheinen nach Luker (2011) die Oberseite der Blätter zu bevorzugen, wobei neben dem Alter auch die Witterung einen Einfluss haben könnte, da bei der Suche nach Individuen Mitte Dezember durch G. Öhm in Göttingen Tiere ausschließlich auf der Unterseite von Blättern gefunden wurden (Beobachtung von >50 Exemplaren).

Der Körper der viviparen Ungeflügelten ist dorso-ventral abgeflacht mit plattenartigen frontalen und seitlichen Vorsprüngen. Die Siphonen sind klein und kegelförmig. Die Körperlänge der adulten C. grassii beträgt 2,3–3,2 mm.

Geflügelte vivipare Weibchen sind die im Sommer am häufigsten beobachtete Morphe (Blackman und Eastop 2022), sie können mit der Ablage von Larven bereits kurz nach der Häutung zum Adultstadium beginnen, also bereits ohne ausgeprägte Pigmentierung (Fig. 2a). Nach Abschluss der vollständigen Pigmentierung haben sie einen schwarzen Kopf und Thoraxfortsätze, einen helleren Prothorax und einen in seiner Ausdehnung variierenden braunen Fleck auf den Abdominaltergiten 5–6 (Fig. 2b). Sie sind 2,2–3,0 mm lang.

Figure 2. 

Crypturaphis grassii auf Alnus cordata im Mai (a. vivipares geflügeltes Weibchen (ohne Pigmentierung); b. vivipares geflügeltes Weibchen (mit Pigmentierung)) und im Dezember (c. Larven, d. männliche Nymphe, e–f. ovipare Weibchen) (Fotos: a, b, K. Schrameyer, c–e G. Öhm, f T. Thieme).

Die jungen Larven von C. grassii sind sehr blass und durchscheinend gelb-grün und entwickeln später dunkle Pigmentflecken (Fig. 2a, c, d).

Die oviparen Weibchen ähneln in Größe und Form den viviparen Ungeflügelten, sie sind aber eher orange-braun mit dunklen Querstreifen auf dem Hinterleib und haben ventral auf beiden Seiten der Cauda Wachswolle produzierende Drüsen (Fig. 2e, f). Die Männchen sind geflügelt. Männchen und ovipare Weibchen treten in Italien und England im Oktober-November auf (Patti 1983; Blackman und Eastop 2022), wurden in Deutschland auch noch im Dezember gefunden, aber auch anholozyklische Überwinterung ist möglich.

C. grassii besiedelt entlang der Blattadern die Ober- und häufiger die Unterseite der Blätter von Alnus cordata einem Baum der südlichen Apenninen Italiens und Teilen Korsikas, wo auch C. grassii beheimatet ist. Jansen und Warner (2002) vermuten, dass die Ausbreitung dieser Art nach Norden auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Dabei ist zu beachten, dass A. cordata häufig in Städten angepflanzt wird, wo aufgrund der dichten Überbauung, großflächigen Versieglung, der Verdrängung der biotischen Faktoren von Landschaftsökosystemen und der Emissionen ein eignes typisches Stadtklima mit höheren Temperaturen herrscht, es also nicht des Klimawandels bedarf, um der Art die Ausbreitung zu ermöglichen.

Da die Art europäischen Ursprungs sei und die Schadwirkung (ökonomisch wie ökologisch) nur sehr gering eingeschätzt wird, werden vom Pflanzenschutzamt der Landwirtschaftskammer Niedersachsen weitere Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Art (Quarantäne, Bekämpfung etc.) als nicht notwendig erachtet (T. Brand, mündl. Mitteilung).

Neotoxoptera formosana

Eine andere Strategie der Ausbreitung zeigt Neotoxoptera formosana (Takahashi 1921). Alle zur Gattung Neotoxoptera Theobald (Aphidinae: Macrosiphini) gehörenden Blattläuse ähneln Myzus (Passerini, 1860), besitzen gekeulte Siphonen und dunkel umrandete Flügeladern (Table 1).

Figure 3. 

Erstfund von Neotoxoptera formosana 2006 auf Allium cepa in Annweiler, Deutschland (Fotos: C. Brühl).

Table 1.

Arten des Genus Neotoxoptera Theobald, 1915.

Taxon Wirtspflanze
N. abeliae Takahashi 1965 Abelia, Lonicera
N. formosana (Takahashi 1921) Allium
N. geranii (Chowdhuri, Basu, Chakrabarti und Raychaudhuri 1969) Geranium
N. oliveri (Essig 1935) Allium, Stellaria, Viola
N. sungkangensis Hsu 1991
N. violae (Pergande 1900) Viola
N. weigeliae Lee und Seo 1990 Weigelia - ?
N. yasumatsui Sorin 1971 Weigelia - Aster, Artemisia

Die viviparen Ungeflügelten von N. formosana sind leuchtend magentarot bis dunkel rotbraun oder fast schwarz. Die ersten beiden Antennensegmente und die distalen Teile der Femora sind alle schwarz. Der Mindestdurchmesser der Siphonen ist größer als der Durchmesser der hinteren Tibia in ihrer Mitte. Die Körperlänge der erwachsenen Ungeflügelten beträgt 1,6–2,3 mm. Juvenile N. formosana sind ähnlich gefärbt wie die ausgewachsenen Ungeflügelten. Die nur selten und in geringer Anzahl auftretenden Geflügelten von N. formosana sind sehr dunkelrot bis schwarz, wobei die Flügeladern deutlich schwarz gesäumt sind. Während diese Säume bei N. formosana über die Länge der Flügeladern hinweg etwa die gleiche Breite besitzen, sind sie bei der ebenfalls Allium besiedelnden N. oliveri (Essig, 1935) an der Basis und der Spitze jeder Ader breiter (Fig. 4a). Bei N. formosana verlaufen die Innenseiten der Antennenhöcker auf dem Stirnprofil parallel und bei N. oliveri konvergierend (Fig. 4b). N. formosana ist nicht wirtswechselnd, sondern verbringt den gesamten Lebenszyklus offenbar vollständig anholozyklisch auf Allium, entweder auf den Blättern oder auf gelagerten Zwiebeln (Table 2). N. formosana ist in Ost- und Südostasien heimisch, ist aber in Australien, Neuseeland, Hawaii, Panama, Guadaloupe (Etienne und Champoiseau 2011), Südamerika (Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Peru, Venezuela), Nordamerika, St. Helena, den Kanarischen Inseln (Peréz Hidalgo et al. 2011) und in weiten Teilen Europas eingedrungen.

Figure 4. 

Morphometrische Merkmale der viviparen Geflügelten von Neotoxoptera formosana (links) und N. oliveri (rechts), a. Vorderflügel, b. Stirnprofil.

Table 2.

Wirtspflanzen von Neotoxoptera formosana und deren Eignung für eine Herkunft aus Annweiler bei 20 ± 2 °C. Besatz (n = 6) mit je einem adulten ungeflügelten viviparen Weibchen nach 14 Tagen: + ≤ 20 Aph.; ++ ≤ 40 Aph.; +++ ≤ 60 Aph.; ++++ > 80 Aph.

Wirtspflanze Eignung für N. formosana
Allium ascalonicum L. a ++++
A. cernuum Roth a ++
A. cepa L.a ++++
A. bakeri Regel a ++
A. chinense G. Don a +++
A. fistulosum L. a +
A. neopolitanum Cirillo a +
A. ampeloprasum L. a +
A. sativum L.a ++++
A. schoenoprasum L.a ++++
A. tuberosum Rottler ex Sprengel a +
A. atropurpureum Waldstein & Kitaibel ++++
A. caeruleum Pallas ++++
A. giganteum Regel ++++
A. karataviense Regel ++++
A. nigrum L. ++++
A. sphaerocephalon L. ++++

N. formosana wurde in Europa erstmals 1984 in Frankreich entdeckt (Leclant 1999) und in GB erstmals im September 1999 in einem Bestand walisischer Zwiebeln (A. fistulosum) entdeckt, der in einer Plastikwanne im Model Vegetable Garden der RHS Wisley, Surrey, wuchs (Halstead 2000). Im August 2013 entdeckten Dransfield und Brightwell (2022) N. formosana in GB als Kolonie auf einer in einem Supermarkt in Inverness (Schottland) gekauften Zwiebel. Im Oktober 2020 erhielten Dransfield und Brightwell (2022) einen Bericht über eine große Anzahl dunkler Blattläuse auf Allium schoenoprasum in Abbotts Ann, Andover, Hants. Die Häufigkeit der Beobachtungen von Populationen zeigt, dass N. formosana in GB weit verbreitet und gut etabliert ist (z.B. Blackman 2022; Wieczorek et al. 2019).

Der Fund von N. formosana in Finnland an Zwiebeln aus den Niederlanden deutet darauf hin, dass die Blattlaus 1994 in den Niederlanden aufgetreten sein könnte. Van Dijk (1993) berichtete, dass verschiedene Allium-Arten, die in Töpfen im Freiland und in Gewächshäusern in Wageningen in den Niederlanden angebaut wurden, zeitweise stark von Blattläusen befallen waren, bei denen es sich um N. formosana gehandelt haben könnte. Der erste gesicherte Nachweis dieser Blattläuse in den Niederlanden, wo sie A. schoenoprasum besiedelten, erfolgte 1994 (Piron 2010). Im Juli 2000 wurde N. formosana zum ersten Mal in Italien gemeldet. Sie wurde im Gewächshaus auf A. schoenoprasum gefunden (Barbagallo und Ciampolini 2000).

Der erste Nachweis dieser Blattläuse in Deutschland gelang 2006 an gelagerten Zwiebeln in Annweiler, die nur durch Ungeflügelte besiedelt waren (Fig. 1). Diese Zwiebeln waren in Wissembourg im Elsass (Frankreich) gekauft worden (C. Brühl). Das erste Auftreten von N. formosana im Freiland wurde 2007 bei Heilbronn (Baden-Württemberg) an A. schoenoprasum in zwei Beständen eines Produktionsbetriebes beobachtet (Schrameyer 2008). Dieser Fund weist Besonderheiten auf: 1. Es handelte sich um nesterweisen Befall, 2. Es konnten trotz hoher Besiedelungsdichte hauptsächlich nur ungeflügelte Blattläuse beobachtet werden, 3. Die besiedelten Pflanzen wurden durch den Befall mit N. formosana abgetötet. Wahrscheinlich entspricht dieses Auftreten von N. formosana einem zweiten Eindringungsereignis der aus Frankreich kommenden Blattlaus in Deutschland (Fig. 1). Alle weiteren Nachweise der Art lassen sich auf menschliche Verbreitung von befallenen Pflanzen zurückführen.

2022 erreichte diese Blattlaus Bad Zwischenahn-Rostrup, wo sie in einem Garten in einem Folientunnel zunächst A. schoenoprasum und A. tuberosum, später auch A. sativum und A. cepa befiel (T. Brand, mündl. Mitteilung). Als Quelle werden zugekaufter A. schoenoprasum und A. cepa vermutet. 2023 besiedelte N. formosana in diesem Garten auch A. schoenoprasum im Freiland. 2023 traten die Läuse erstmals in einem Hochbeet in Braunschweig an zugekauftem A. schoenoprasum auf und besiedelten dort auch massiv A. ampeloprasum L. (Fig. 1).

Während es bekannt ist, dass N. formosana nur Allium-Arten besiedelt, fehlen Informationen darüber, ob es zwischen diesen Arten Unterschiede in der Wirtseignung gibt. Die Versuche zur Wirtseignung verschiedener Allium-Arten für N. formosana aus Konstanz lassen deutliche Unterschiede erkennen (Table 2). Während A. ascalonicum, A. cepa, A. sativum, A. schoenoprasum, und die getesteten Zierlauch-Arten A. atropurpureum, A. caeruleum, A. giganteum, A. karataviense, A. nigrum und A. sphaerocephalon den besiedelnden Blattläusen eine hohe Reproduktion ermöglichen, erweisen sich A. fistulosum, A. neopolitanum, A. ampeloprasum und A. tuberosum als weniger geeignete Wirtspflanzen. In Allium-Pflanzen sollen zwei Schwefelverbindungen, Dipropyltrisulfid und Diallylsulfid, für die Anziehung von N. formosana verantwortlich sein und werden als olfaktorisches Signal zur Suche der Wirtspflanzen genutzt (Hori 2007). Es ist möglich, dass Unterschiede in der Ausstattung mit diesen Schwefelverbindungen auch Einfluss auf die Wirtseignung der Pflanzen haben.

Das auffällige Fehlen geflügelter Morphen, ist eine Besonderheit von N. formosana. Piron (2010) beobachtete, dass sich in nahrungsgestressten Kolonien keine Geflügelten entwickelten. Deshalb testeten wir, ob hohe Besiedelungsdichte einen „Gedränge-Effekt“ (die Entwicklung geflügelter Morphen bei hoher Dichte) verursacht. Der Vergleich zwischen drei A. cepa besiedelnden Blattlausarten zeigt, dass bei N. formosana der Gedränge-Effekt nicht zu wirken scheint, wohingegen bei M. (S.) cymbalariae und M. (S.) ascalonicus unter den gewählten Versuchsbedingungen mit zunehmender Dichte der Anteil an Geflügelten zunimmt (Fig. 5). Da N. formosana in der Saison nur extrem wenige geflügelte Morphen produziert erfolgt die Ausbreitung hauptsächlich durch wandernde ungeflügelte Individuen (und ist daher sehr begrenzt) oder durch Verschleppung besiedelter Wirtspflanzen. Eine große wirtschaftliche Bedeutung ist daher unwahrscheinlich.

Figure 5. 

Einfluss der Besiedelungsdichte ungeflügelter viviparer Weibchen auf den % Anteil (MW ± SD) ungeflügelter viviparer Weibchen von Neotoxoptera formosana (N. f.), Myzus (S.) ascalonicus (M. a.) und M. (S.) cymbalariae (M. c.) nach 21 Tagen (n = 10), Werte mit ungleichen Buchstaben innerhalb der Besiedelungsdichte-Gruppe unterscheiden sich signifikant (p < 0,001), Kruskal-Wallis-Test (SYSTAT, Version No. 11.00.01).

Die Populationen von N. formosana können Schäden an ihren Wirtspflanzen verursachen. Die in Italien gemeldeten Schäden durch Nahrungsaufnahme an A. schoenoprasum umfassen Welken, Vergilben und Austrocknen (Barbagallo und Ciampolini 2000). N. formosana kann auch phytopathogene Pflanzenviren übertragen (Abiko et al. 1980; Sako et al. 1990; Yasuda et al. 1998).

Auf Anregung des britischen Pflanzenschutzdienstes wurde N. formosana im April 2000 in die EPPO-Warnliste aufgenommen (EPPO 2001). Auf der 37. Sitzung des EPPO-Gremiums für pflanzengesundheitliche Maßnahmen (Paris, 8. bis 11. März 2005) wurde dieser Schaderreger erneut diskutiert. Da er bereits in Frankreich, Italien und den Niederlanden vorkam und nur geringe Schäden gemeldet wurden, kam das Gremium zu dem Schluss, dass N. formosana nicht zur Regulierung vorgeschlagen werden sollte, weshalb diese Blattlaus von der Warnliste gestrichen wurde (EPPO 2005). 2007 erfolgte durch den deutschen Quarantänedienst eine „Meldung über das Auftreten von Schadorganismen nach Artikel 16 Absatz 2 der Richtlinie 2000/29/EG; Neotoxoptera formosana (vom 10.09.2007)“ (Anonym 2007). Darin wird mitgeteilt, dass der Ursprung des mit Insektiziden bekämpften Befalls unbekannt sei und aufgrund der vorläufigen Risikoanalyse dem Schadorganismus ein hohes phytosanitäres Risikopotential beigemessen wird.

Schlussfolgerungen

Die Studie betrachtet die Nachweise und die Ausbreitung der Blattlausarten Crypturaphis grassii und Neotoxoptera formosana in Deutschland. Beide Arten führen keinen Wirtswechsel durch unterscheiden sich aber in der Ausbreitungsstrategie. Die monophage, nur Alnus cordata besiedelnde C. grassii reagiert auf hohe Besiedelungsdichte mit der verstärkten Produktion von Geflügelten, die eine schnelle Ausbreitung ermöglichen. Bei der polyphagen, zahlreiche Taxa des Genus Allium besiedelnden N. formosana, ist die Bildung von Geflügelten hingegen stark reduziert, ihre Ausbreitung erfolgt deshalb hauptsächlich durch anthropogenen Transport.

Danksagung

Die Autoren danken Dr. U. Heimbach für die Zusendung von N. formosana aus seinem Garten in Braunschweig und Dr. T. Brand (Landwirtschaftskammer Niedersachsen; Pflanzenschutzamt, Zierpflanzen, Baumschulen, öffentliches Grün/ Oldenburg) für die Informationen über C. grassii und das Auftreten von N. formosana in Niedersachsen.

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