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Buchbesprechung Uszinski, M. (Hrsg.): Henry Walter Bates: Der Naturforscher am Amazonenstrom. Leben der Thiere, Sitten und Gebräuche der Bewohner, Schilderung der Natur unter dem Äquator und Abenteuer während eines elfjährigen Aufenthalts. 13,5 × 20,5 cm, 896 Seiten, in Leinen gebunden, Verlag der Pioniere, Flensburg 2024. Durchgesehene und kommentierte Ausgabe in der anonymen deutschen Übersetzung von 1866. Mit allen Abbildungen der Erstausgabe, einer beigelegten Karte und vielen zusätzlichen Illustrationen. ISBN 978-3-941924-10-9
Book Review: Uszinski, M. (Hrsg.): Henry Walter Bates: Der Naturforscher am Amazonenstrom. Leben der Thiere, Sitten und Gebräuche der Bewohner, Schilderung der Natur unter dem Äquator und Abenteuer während eines elfjährigen Aufenthalts. 13,5 × 20,5 cm, 896 Seiten, in Leinen gebunden, Verlag der Pioniere, Flensburg 2024. Durchgesehene und kommentierte Ausgabe in der anonymen deutschen Übersetzung von 1866. Mit allen Abbildungen der Erstausgabe, einer beigelegten Karte und vielen zusätzlichen Illustrationen. ISBN 978-3-941924-10-9
expand article infoWolfram Mey
‡ Leibniz Institute of Evolution and Biodiversity Research, Museum für Naturkunde, Berlin, Germany
Open Access



Im April 1848 trat Henry Walter Bates von Liverpool aus seine elf Jahre währende Reise in das Stromgebiet des Amazonas an. Sein Reisegefährte in den ersten beiden Jahren war Alfred Russel Wallace, der später berühmt wurde durch seine Reisen im Malayischen Archipel und durch seine Forschungen, die ihn zusammen mit Charles Darwin zum Mitbegründer der Evolutionstheorie werden ließen. Er kehrte nach vier Jahren nach England zurück. Seine Rückreise endete in der Katastrophe eines Schiffsuntergangs, bei dem er alle am Amazonas gemachten Sammlungen verlor. Henry Bates aber blieb weitere sieben Jahre in Brasilien. Der komplette Verlust der Sammlungen seines Reisegefährten war ihm eine Lehre. Er verschickte seine Aufsammlungen in Abständen von jeweils wenigen Monaten nach London, wo sie durch das renommierte Auktionshaus Stephens an interessierte Museen und Privatsammler verkauft wurden. Vom zurückfließenden Erlös finanzierte Bates seinen Aufenthalt und seine Reisen am Amazonas. Er bereiste den Fluss vom Mündungsgebiet nördlich von Pará (das heutige Belém) bis zum Oberlauf. Er wollte noch weiter bis zum Fuß der Anden vordringen, musste diesen Plan aber krankheitsbedingt aufgeben. Neben dem Hauptstrom, hat er verschiedene nördliche und südliche Zuflüsse befahren, soweit bis Katarakte ein Vorwärtskommen unmöglich machten oder ausgehender Proviant eine Umkehr erzwang. Im Gegensatz zu Wallace, der bis zum Oberlauf des Rio Negro in Venezuela vordrang, hat Bates diesen Fluss nur in seinem Unterlauf untersucht und besammelt. Für die Reisen auf den verschiedenen Flüssen musste immer ein Boot und eine entsprechende Besatzung gemietet werden. Das Boot war seine schwimmende Unterkunft, gleichzeitig Arbeitsplatz und Lagerraum für seine permanent getätigten Sammlungen. Daneben hat aber auch in vielen Siedlungen als auch kleinen Städten entlang der Flüsse festes Quartier bezogen, um vor dort aus durch die Wälder zu streifen und neue Arten zu sammeln. In manchen Orten blieb er über viele Monate und manchmal einige Jahre. Er kehrte auch wiederholt an vertraute Stellen zurück. Bates hat in seinen Tagebüchern dieses Leben eines auf dem Wasser reisenden und sammelnden Naturforschers ausführlich und detailreich beschrieben. Eingebettet in großartigen Schilderungen der bereisten Landschaften, der unendlichen Wälder, der indianischen Urbevölkerung und des damaligen, zivilisatorischen Zustands am Amazonas, beschreibt er ausführlich die Objekte seiner Sammlungstätigkeit und die Beobachtungen, die er dabei machte.

Er war von Haus aus Entomologe und hatte ein besonderes Interesse an Tagfaltern und Käfern. Bleibenden Ruhm hat er sich durch die Entdeckung der Imitation des äußeren Aussehens ungenießbarer Arten durch harmlose Arten bei Schmetterlingen erworben, ein evolutiver Prozess, der als Batessche Mimikry in die wissenschaftliche Literatur eingegangen ist. Neben den Insekten bemühte sich Bates möglichst viele Arten von Vögeln, Säugetieren und anderen Wirbeltieren zu erlangen, die beim Verkauf in England einen hohen Erlös erzielten. Im Wald war er deshalb immer auch als Jäger mit dem Gewehr unterwegs, und oft diente die Jagdbeute der eigenen Ernährung. Die Methodik der Präparation des Materials sowie seine Aufbewahrung wird in den Aufzeichnungen nur am Rande erwähnt. Zum Konservieren kam auch Alkohol zum Einsatz, auf den er aber besonders aufpassen musste, da seine indianischen Begleiter diese Art der Verwendung von Alkohol missbilligten. Er hatte über die ganzen Jahre keinen festen Assistenten, sondern musste an jedem Ort indianische oder andere Hilfskräfte anwerben, die ortskundig waren und ihm beim Sammeln und Jagen zur Seite standen. 1859 machte sich Bates, geschwächt durch Krankheiten, Mangelernährung und die Umstände des Lebens im tropischen Klima, auf die Rückreise nach England. Seine letzte Station war Pará (Belém), die Stadt, wo er elf Jahre zuvor mit seiner Forschungsarbeit begonnen hatte. Die Gegend war mittlerweile völlig verändert, und von dem einst so prächtigen Wald fand er nur noch Fragmente vor. Die Beschreibung dieser Veränderung in nur wenigen Jahren, die ihn selbst überraschten, liest sich wie ein Menetekel auf die kommenden Veränderungen, die ganz Amazonien und Brasilien erfassen sollten. Für Bates war Amazonien das „Paradies für einen Naturforscher“, welches er 1859 für immer verließ. Geblieben sind ihm seine Sammlungen, seine Erinnerungen und seine Tagebücher, von denen er regen Gebrauch machte bei der Niederschrift seines Reiseberichtes. Das Buch ist 1863 erschienen. Charles Darwin bezeichnete es als „das beste Buch über naturkundliche Reisen, das jemals in England veröffentlicht wurde“. Dieses Lob hat zweifellos weiterhin Bestand. Auch für den heutigen, naturkundlich interessierten Leser ist die Lektüre ein wahrer Genuss. Es ist unterhaltsam geschrieben und führt uns mit einer Fülle an Informationen in eine vergangene Zeit, in der die Natur am Amazonas noch intakt war.

Der Herausgeber hat in dankenswerter Weise die deutsche Übersetzung von 1866 aufgegriffen und neu bearbeitet. Übersetzungsfehler wurden korrigiert, eine Vielzahl von Kommentaren als Fußnoten eingefügt und den Text durch zusätzliche, zeitgenössische Illustrationen aufgelockert. Den Abschluss bildet ein sehr nützlicher Anhang mit Verzeichnissen der Abbildungen, zitierte Literatur, Worterklärungen, Verzeichnissen von Personen, Ortsnamen, Völkerschaften und ein Verzeichnis der erwähnten Pflanzen und Tiere.

Die private Sammlung von Bates ist nach seiner Rückkehr zum größten Teil an das Britische Museum verkauft worden, wo sie eine ergiebige Quelle zur wissenschaftlichen Beschreibung vieler neuer Arten wurde. Die Tagebücher von Bates gelangten erst viel später, lange nach seinem Tod, an das Britische Museum. Der jetzige Besitzer, das Natural History Museum, London, hat Teile der Tagebücher in einer separaten Ausgabe 2020 herausgebracht unter dem Titel „A Naturalist in the Amazon – The journal and writings of Henry Walter Bates“. Darin werden neben einigen Texten aus seinem Reisebuch vor allem ausgewählte Seiten aus seinen beiden handschriftlichen Tagebüchern im Original abgedruckt. Es sind vor allem Skizzen und aquarellierte Zeichnungen von Schmetterlingen, Käfern und anderen Insekten, die in seinem Reisebericht nicht vorkamen. Sie sind ein weiteres Zeugnis von den Talenten und Leistungen von Bates. Er war und ist einer der großen Entomologen und reisenden Naturforscher seiner Zeit, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährt.

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